Ludwig Hasler im PERSÖNLICH Nr. 3 / 2012, Seite 13:
(…) Der Bürger als neue Menschensorte. Er ist, was er leistet. Er rechtfertigt sich durch Nützlichmachen – als Handwerker, Wirtin, Fuhrmann, Schneider, Kaufmann etc. In diesem wechselweisen Nützlichmachen sind alle aufeinander angewiesen, also auch alle gleichberechtigt. Arbeit wird zum Kitt der bürgerlichen Gesellschaft. Arbeit gibt jedem die Sicherheit, seinen Platz, seine Funktion. Keiner ist überflüssig, Almosen hat im Normalfall keine Berechtigung. Arbeit stiftet Gesellschaft. Arbeit begründet Anrechte. Das führte ich kürzlich vor Behinderten aus. Sie wussten sofort, wovon ich sprach. Wer am Arbeiten gehindert wird, weiss wie unverzichtbar Arbeit für Menschen ist.
Auf den ersten Blick einfach ein schöner Text. Ludwig Hasler, präzise, folgerichtig, schlüssig. Doch beim nachmaligen Lesen kommen Fragen auf. Fragen zur Arbeit und zum Nützlichsein. Und schon sind wir dort, wo es ganz schnell ganz problematisch wird. Ludwig Hasler sprach vor Menschen, die als Behinderte am Arbeiten gehindert werden. Da kommt Verständnis auf. Doch was ist mit all jenen, deren Arbeit nicht einfach „Nutzen“ stiftet. Deren Arbeit nicht einfach in unserem Sinne produktiv ist. Denken wir an Künstler jeglicher Couleur. Was ist denn „nützlich“? Arbeit stiftet Nutzen und Nutzen stiftet Sinn. Doch was ist das für ein Sinn, der nur dann da ist, wenn ich nützlich, im heutigen Sprachgebrauch „produktiv“ bin. (Wem nützlich? welchen Interessen nützlich?) Arbeit ist unverzichtbar für den Menschen schreibt Ludwig Hasler. Wo er recht hat, hat er recht. Ist nur das Arbeit, was per se als nützlich für die Gesellschaft definiert werden kann? Wie sieht diese Arbeit genau aus? Geläufige Worte wie Arbeit und Nützlichkeit werden unscharf und fragwürdig. Wer über nützliches nachdenkt, der denkt auch über schädliches nach. Nützlinge und Schädlinge sind geläufige Vokabeln von Hobbygärtnern und von Menschen mit bestimmten weltanschaulichen Leitplanken. Das erinnert mich an eine Zeit vor meiner Zeit und an Verwandte nördlich des Rheins.
Ludwig Hasler zitiert in seinem Text die Bibel und gebraucht das Bild von der Vertreibung aus dem Paradies, wo dann der Fluch folgt: „Im Schweisse deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis du wieder zur Erde werdest, von der du genommen bist.“ Ja so sehen viele aufgeklärte, moderne Menschen auch heute noch die Arbeit. Ich halte dem entgegen: „Seht euch die Lilien an! Sie wachsen, ohne sich abzumühen und ohne zu spinnen und zu weben … (Lukas 12, 27) Und ich meine damit, dass es um viel mehr geht als um Produktivität und dass Arbeit viel früher beginnt, als an unserer ökonomisch ausgerichteten Nützlichkeit.
Arbeit beginnt dort, wo ich mich selber wertschätze und daraus Wertschätzung weiter gebe. Wertschöpfung aus Wertschätzung. Das geht nicht von Natur aus. Und das geschieht ebenfalls ausserhalb des Paradieses. Doch es trägt etwas Paradiesisches in sich, das viel nützlicher ist, als eine „bürgerliche“ Gesellschaft das gerne hätte. Danke Herr Hasler, Sie haben einmal mehr zum Denken angeregt.
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Zweifellos wird mit dem Thema Arbeit ein wahre Kaskade soziokultureller, philosophischer und freilich auch ökonomischer Zusammenhänge ausgelöst. Setzen wir also Mehrwert und Lohnarbeit (Marx) neben die ebenfalls im 19. Jahrhundet aufkeimende Diskussion um selbst- und fremdbestimmte Arbeit, schälen sich die Fragen um das Sein und letztlich um den schwer befrachteten Begriff von Freiheit heraus.
Die Gleichnisse um das-nicht-sähen-müssen wirken zunächst barmherzig, aber entlässt uns die heilige Schrift wirklich aus der Verpflichtung zur Arbeit? Heisst es in monotheistischer Nomenklatur nicht, du sollst nicht Gott und Mammon gleichzeitig dienen? Also diene Gott, aber: Ora et labora, du Sünder und auf zum nächtlichen Stundengebet bis in alle Ewigkeit. Der große Gasförmige wird dich erhalten und dich ernähren notfalls die Armenspeisung.
Wer um die Nutzlosigkeit der Kunst gründelt, der findet Rehabilitation und Legitimierung im deutschen Idealismus: Kunst ist autonom und muss zweckfrei sein, um den Menschen auf einer höheren Ebene zu erbauen. Funktionalität und Kunst schliessen sich aus. Schillers homo ludens, der spielende Mensch, findet nur über die Kunst zur Freiheit. Diese Freiheit erhebt sich auch über die Nützlichkeitserwägungen, denen sich die bürgerliche Gesellschaft verschrieben hat. Zweckrationalität, die instrumentelle Vernunft mechanisiert die Gesellschaft und frönt dem Diktat der Nützlichkeit. Pragmatisch denken, Särge schenken. Oder lieber mit Schillers Worten, die den Nutzen umschreiben als „das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sollen“. Und welche Dinge sind Schiller nun wichtig? Die zweckfreien und direkt funktionslosen Dinge wie Liebe, Freundschaft, Religion und natürlich die Kunst. Sie bewahrt den Menschen vor der Verstümmelung und Zersplitterung und verhindert, dass der Mensch nicht zum bloßen Abdruck seiner Tätigkeit degeneriert. Auf das Arbeitsleben gemünzt mag die Kunst in Gestalt von ipod oder Bildband die Symptome der modernen Industrie- und Leistungsgesellschaft zumindest ein wenig mildern. Es muss ja nicht immer gleich die Maltherapie sein.